Motorradlärm: Hersteller sehen Schuld bei Motorradfahrern

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Zur aktuellen Debatte um Motorradlärm und die daraus hervorgehende Forderung von einer Mehrheit der Motorradfahrer an die Hersteller, neue Modelle endlich „sozialverträglich leise“ zu machen, hat sich nun auch der Industrieverband Motorrad IVM geäußert. Allerdings ist das Statement von Achim Marten, dem Sprecher des Verbands, ein Schlag ins Gesicht aller Motorradfahrer – und damit aller Kunden der Hersteller, die der IVM in Deutschland vertritt. Nachdem wochenlang nichts von Herstellerseite zum Thema zu vernehmen war, lautet die einzige Äußerung, zu der Marten sich als Reaktion auf einen offenen Brief des BVDM an die Hersteller in einem taz-Artikel vom 12.06.2020 stellvertretend für den IVM und seine Mitglieder hinreißen ließ, wie folgt:

Fangt doch erstmal an, die Maschinen leiser zu fahren. Wir sehen die Hauptverantwortung bei den Fahrern selber.(Achim Marten, IVM, auf taz online)

Eine Stellungnahme von Achim Marten, Pressesprecher IVM, findet sich am Beitragsende.

Geht’s noch, liebe Hersteller, lieber IVM, lieber Achim? 20 Jahre lang habt ihr technischen Fortschritt einzig dazu genutzt, die sich immer weiter verschärfenden Vorgaben der Euro-Normen mit „Sound-Design“ und elektronisch gesteuerten Klappen an euren Serienmodellen zu umgehen. Ihr habt mit unermüdlicher Lobbyarbeit verhindert, dass die zur Typprüfung notwendigen Messungen von einem verschwindend geringen Bereich auf das gesamte Leistungsspektrum ausgeweitet werden. Und jetzt, wo euren Kunden Fahrverbote selbst mit aktuellen Serienmodellen drohen, schiebt ihr diesen Kunden auch noch den Schwarzen Peter für die Situation zu? Schlimmer noch: Mit diesem Statement stellt der IVM uns alle unter genau den Generalverdacht, gegen den sich die meisten von uns gerade zu Recht vehement wehren – nämlich allesamt lärmende Idioten zu sein! Dabei gilt doch eher:

Die Motorradhersteller haben in den vergangenen 20 Jahren so viel Lärm-Engineering betrieben, dass neuere Motorräder ab Werk stets lauter sind als welche aus den Achtzigern oder Neunzigern, obwohl damals laxere Regeln galten. (Clemens Gleich auf heise online)

Ihr baut also Motorräder mit überbordender Leistung, die nur noch mit Elektronik auf der Straße zu halten sind, sagt euren Kunden aber jetzt, sie sollen damit leiser fahren? Leiser als was? Leiser als dieser geradezu Trumpeske Brüller, der eurem IVM-Sprecher da entfahren ist?

In der Diskussion der vergangenen Wochen haben wir auf allen möglichen Kanälen – nicht nur unseren eigenen, sondern auch denen unserer Mitstreiter – verfolgen können, dass eine große Mehrheit der Motorradfahrer gerne leiser unterwegs wäre. Motorradfahrer wohlgemerkt, die mit Serienfahrzeugen unterwegs sind, und denen das, was da aus den Töpfen entweicht, selbst nicht mehr geheuer ist. Aber wie soll das gehen, wenn ihr mit Schummelklappen und Software-Kniffen die bestehenden Grenzwerte umgeht? Sollen eure Kunden nur noch mit Zehntelgas unterwegs sein dürfen, damit sie die aktuell 77 dB der Euro-Vorgaben nicht reißen, sobald sie außerhalb der Testzyklen unterwegs sind? Dann schreibt das mal in die Betriebsanleitung eurer tollen Motorräder!

Wir können nur hoffen – nein, wir fordern –, dass sich der IVM bei den Motorradfahrern für diese unsägliche Äußerung entschuldigt. Und dann lasst uns doch lieber gemeinsam – ja, so was gibt’s noch – an Lösungen arbeiten, die das Motorradfahren auch in Zukunft attraktiv halten. In unserem Interesse als Motorradfahrer, aber ganz sicher auch in eurem Interesse als Hersteller. Angesichts von allein in Deutschland schon mehr als 300 Protesten gegen Motorradlärm – natürlich meist an den schönsten Strecken – sind Anpassung und Kompromissbereitschaft gefordert, nicht Ignoranz und Verantwortungsverweigerung.

Vielleicht helfen ja folgende drei Punkte weiter in der Diskussion:

  1. Der Gesetzgeber muss die Lücken schließen, die der aktuelle Testzyklus den Herstellern lässt.
  2. Die Hersteller sollen auf Schummelklappen und zugehörige Software verzichten und stattdessen Motorräder bauen, mit denen wir auch in zehn Jahren noch Spaß haben können.
  3. Wir als Käufer müssen zum einen klarmachen, dass wir genau das wollen, und zum anderen unsere eigene Gashand prüfen und ggfs. sozialverträglich justieren.

Dann klappt’s auch in Zukunft noch mit dem Motorradspaß!

Achim Marten, der Pressesprecher des IVM, hat sich zu unserem Beitrag geäußert und wie folgt Stellung genommen:

Die extrem verkürzten Sätze sind aus dem Zusammenhang des Gesprächsteils über „unsere Verantwortung als Motorradfahrer“ genommen und geben in dieser zugespitzten Form weder meine Meinung, noch die des Verbandes wieder.

Kurz zuvor hatte ich im Gespräch gesagt: „Selbstverständlich erkennt die Industrie – Hersteller und Importeure – die Relevanz des politischen wie gesellschaftlichen Drucks und wird daraus Schlüsse ziehen. Und natürlich sprechen wir auf Verbandsebene über das Thema Geräuschentwicklung“.

Trotzdem dürfen wir Motorradfahrer uns nicht ganz aus der Verantwortung nehmen, meine ich, denn ich kann z.B. mein privates Motorrad mit 76 db(A) als Vorbeifahrgeräusch und 91 db(A) Standgeräusch bei definierten 3.875 Umdrehungen pro Minute auch so fahren, das es nicht für Ärger in meiner eigenen Nachbarschaft oder generell bei Anwohnern sorgt. Und das können natürlich wir alle – wenn wir nur wollen.” 


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